Osteopathie, -ia; (Pathos - Leiden) 1. Knochenkrankheit. 2. (Still, Arzt, USA, 1874). System, Störungen der Struktur an Wirbelsäule und Gliedmaßen und dadurch entstandene Störungen der Funktion ("Osteopathische Läsion") durch Handgriffe zu behandeln. (Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 253. Auflage, 1977.
Bei der Osteopathie handelt es sich also nicht um eine Knochenkrankheit, sondern um eine spezielle Richtung der Manuellen Medizin. Sie wurde von dem US-amerikanischen Arzt Dr. Andrew Taylor Still (1828-1917) in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts begründet. Dr. Still war mit den Ergebnissen und der Arbeitsweise der zeitgenössischen Medizin nicht mehr zufrieden Er war der Meinung, dass viele Medikamente und viele, oft unnötige Operationen nicht selten nur ein Ersatz waren für zu geringe Kenntnisse der Zusammenhänge menschlichen Lebens und damit oft nur Ausdruck der Hilflosigkeit von Arzt und Patient. Er ging davon aus, dass »Gott den Menschen so gut geschaffen hatte, dass man weder etwas hinzuzufügen, noch etwas wegzunehmen bräuchte«.
Dr. Still hielt es für besser, anhand gründlicher Kenntnisse von Anatomie und Physiologie mit den Patienten zu arbeiten und dem Organismus durch Verbessern der Durchblutung und durch Befreiung der inneren Selbstheilungskräfte ein besseres Funktionieren zu ermöglichen. Er sah im Osteopathen also eine Art Mechaniker, dessen Aufgabe es ist, den Organismus gewissenhaft zu warten, und dem Ingenieur (Gott) nicht an seiner Kreation herumzupfuschen. Diese bescheidene Haltung gegenüber der Schöpfung und der Respekt vor den selbstregulierenden Kräften der Natur ist ein wichtiger Bestandteil der Philosophie, die untrennbar mit dem Begriff Osteopathie verbunden ist.
Dr. Still fasste seine Ideen in vier Grundprinzipien zusammen:
- Der menschliche Körper funktioniert als Einheit.
- Der Körper verfügt über selbstheilende Mechanismen. (Heute würde man dies als Immunsystem und Erhaltung des biologischen Gleichgewichts (Homoeostasie) bezeichnen.
- Struktur und Funktion stehen in Wechselbeziehung zueinander.
- Abnormer Druck oder eine Spannung in einem Teil des Körpers produzieren abnormalen Druck und Spannungsphänomene in einem anderen Teil des Körpers (Siehe 1).
Medikamente lehnte er ab, eine in Kenntnis der damaligen Zeit leicht verständliche Haltung.
Eine der wichtigsten Grundlagen des Lebens ist die Bewegung/Beweglichkeit des Organismus. Bei seinen Patienten konnte Dr. Still regelmäßig Einschränkungen der Beweglichkeit der durch Krankheit betroffenen Gewebe (z. B. der Lungenbeweglichkeit bei Lungenentzündungen), aber auch Bewegungsverluste der Wirbelsäule (blockierte, "ausgerenkte" Wirbel) oder Einschränkungen des Schultergelenkes bei Schulterproblemen ertasten. Diese versuchte er in der Therapie wieder zu mobilisieren (beweglich zu machen), um durch eine Optimierung der arteriellen Durchblutung und des venösen und Iymphatischen Abtransports von Stoffwechselprodukten eine Selbstheilung zu ermöglichen.
So kam er zu dem Begriff Osteopathie: "Os", der Knochen, als Hebel gegen "Pathos", die Leiden oder Leidenschaften!
Durch den großen Erfolg seiner Methode kam es im Jahre 1894 zur Gründung der ersten Hochschule für Osteopathie in Kirksville, im US-Bundesstaat Missourie. Diese Universität besteht im vielfach erweiterten Rahmen noch heute. Durch zurückkehrende Immigranten gelangte die Osteopathie bald nach Europa. So kam es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Gründung von Schulen in England (Bristish School of Osteopathy, 1913, sie besteht noch heute), später Frankreich und Belgien und erst seit 1988 auch in Deutschland. Sie ist also keinesfalls eine neue Mode, sondern eine bewährte Behandlungsmethode mit wissenschaftlicher Tradition und ein integrierter und staatlich anerkannter Bestandteil des amerikanischen und britischen Gesundheitssystems (dort also ebenfalls "Schulmedizin"). Sie wurde zur Grundlage verschiedener Richtungen manualtherapeutischer Schulen. So war z.B. Palmer, der Begründer der Chiropraktik ein Schüler Dr. Stills und auch die europäischen Manualtherapeutischen Richtungen entstanden unter engem Kontakt zur Osteopathie, auch wenn dies heute viele Manualtherapeuten vergessen zu haben scheinen.
Es ist jedoch in diesem Zusammenhang notwendig, die Osteopathie von der Chiropraktik bzw. Chirotherapie, oder der Manuellen Therapie zu unterscheiden, weil sich diese Techniken immer nur auf Teilgebiete (meist im Bereich der Knochen, Muskeln und Gelenke) beschränken!
Dadurch geht leider die Aufmerksamkeit für den ganzen Menschen verloren.
Vorgehensweise in der Osteopathie
Die Grundlage der osteopathischen Arbeit ist, wie in der "klassischen" Medizin, eine möglichst genaue Kenntnis von Anatomie und Physiologie. Man macht diese allerdings zur Basis einer genauen palpatorischen Untersuchung (d. h. durch Tasten), die immer die Grundlage jeder Behandlung darstellt und aus der sich dann Diagnose und Therapie ergeben. Dabei wird der Organismus als Einheit begriffen, die man nicht in einzelne, voneinander unabhängige Einzelteile aufteilen und behandeln kann. Neuere Forschungen über die Komplexität der Regelkreise im Organismus und über die hormonellen und neuro-vegetativen Zusammenhänge, bestätigen diese Ansicht.
Die osteopathische Dysfunktion
Als Grundlage der Arbeit mit den Patienten dient der Begriff "osteopathische Dysfunktion/Läsion". Das bedeutet eine ertastbare Einschränkung der Beweglichkeit der Gewebe. (Dysfunktion bedeutet eingeschränkte Funktion). Im Gegensatz dazu steht die eher symptombezogene Diagnostik und Behandlung in der "klassischen" Medizin.
Am einfachsten ist dies wahrscheinlich im Bereich der Gelenke nachzuvollziehen, als so genannte "blockierte" Gelenke der Wirbelsäule und Extremitäten. Aber in der Osteopathie wird dieser Begriff noch viel weiter ausgedehnt, z. B. auf innere Organe und deren freies Gleiten gegeneinander oder Spannungen von Blutgefäßen im Rahmen von Anpassungsreaktionen an Stress. Auch die Verarbeitung emotionaler Belastungen und deren Kompensation in komplexen Muskelverspannungen, die zu Haltungsveränderungen führen, gehört in diesen Bereich.
Man spricht von primärer Dysfunktion wenn eine Einschränkung der Beweglichkeit eines Gelenks oder verschiedener Gewebe entsteht, als Schutz gegen eine drohende Schädigung an dieser Stelle. Der so genannte "Hexenschuss" z. B. ist oft eine derartige Reaktion. Zum Schutz vor einer zu großen Bewegung wird ein Wirbel reflektorisch blockiert.
Eine sekundäre Dysfunktion entsteht als Anpassung an die bestehenden Bewegungseinschränkungen des Körpers. Jede primäre Dysfunktion (z. B. ein blockierter Wirbel) schränkt die in seiner Nachbarschaft liegenden, bzw. mit ihm funktionell verbundenen Bewegungsmöglichkeiten ein. Wenn also ein bestimmtes Problem immer wieder auftritt und nur kurzfristig gebessert werden kann, sollte man diese Art der Zusammenhänge auf jeden Fall bedenken. Es ist wenig sinnvoll, eine Behandlung im Bereich dieser sekundären Einschränkungen anzusetzen, vielmehr sollte immer versucht werden, soweit wie möglich die primäre Dysfunktion zu mobilisieren.
Ein Symptom entwickelt sich erst dann, wenn der Organismus nicht mehr in i der Lage ist, die Gesamtheit der bestehenden Dysfunktionen zu kompensieren, oder, mit anderen Worten, sein inneres Gleichgewicht zu erhalten. So ist vielleicht auch verständlich, warum häufig Probleme auftreten, ohne dass der Betroffene eine konkrete Ursache als Auslöser finden kann. Viele kleine Einschränkungen, die man oft gar nicht miteinander in Zusammenhang bringt, summieren sich und bringen das "Fass zum Überlaufen". Die Kette der Kompensationsfähigkeit des Körpers reißt dann einfach an ihrem schwächsten Glied.
Der Beginn von Krankheit oder Symptomen ist also immer das Ende einer langen Kette von Versuchen des Organismus, seine bestmögliche Funktion zu erhalten und bestehende Einschränkungen, gleich welcher Art (Blockierungen von Gelenken, emotionale Probleme, dauernder Stress, ungünstige Ernährung usw.) möglichst ökonomisch zu kompensieren. Dabei ist es aus unserer Sicht wichtig, das eine bestimmte Art von Hierarchie in diesen Kompensationsmechanismen besteht! So werden bestimmte Bereiche des Organismus immer mit höchster Priorität geschützt. Diese sind an erster Stelle die lebenswichtigen inneren Organe, Atmung, Herz-Kreislauf, Verdauung, Fortpflanzung. Demgegenüber hat der Bewegungsapparat und die Körperhaltung keine so wichtige Stellung. Viele Haltungsveränderungen oder andere Symptome, auch Schmerzen, im Bereich des Bewegungsapparates sind somit oft nur Ausdruck eines Schutzes dieser vitalen Bereiche.
Mit diesem Wissen ist es einem Patienten auch viel besser möglich, das Vorgehen des Osteopathen während einer Behandlung zu verstehen. Oft wird gar nicht im Bereich des Symptoms behandelt, sondern ganz woanders! Dies hat dann jedoch immer zum Ziel, den Problembereich im Rahmen der ganzen Körperfunktion zu entlasten - der Osteopath versucht, den ganzen Menschen zu behandeln. Genauso würde niemand auf die Idee kommen, beim Aufleuchten der roten Ölkontrollampe an seinem Auto dieses Lämpchen auszuschalten (symptomatische Behandlung!), sondern das Öl nachzufüllen (ursächliche Behandlung).
Die Feststellung dieser Dysfunktionen setzt langes, intensives Training des Tastvermögens voraus. Mit differenzierten Techniken wird die Beweglichkeit der betroffenen Strukturen während der Behandlung gezielt verbessert und damit versucht, die Dysfunktion aufzulösen. Dadurch wird es dem behandelten Menschen möglich gemacht, sich selbst auf natürliche Art und Weise ins Gleichgewicht zu bringen und so eine ökonomischere Funktionsweise zu finden. Der Osteopath "heilt" also den Patienten nicht, sondern gibt diesem eine Chance, besser und ohne funktionelle Einschränkungen zu leben. Der Organismus als ökologisches System heilt sich selbst am besten und nachhaltigsten. Dies macht natürlich auch den Zeitaufwand für eine Behandlung verständlich, der, je nach Problem, meist zwischen 30 und 90 Minuten beträgt.
Der Organismus wird in der klassisch osteopathischen Behandlung also rein handwerklich unterstützt, um den Griff zu Medikamenten oder Operationen, wenn möglich, zu vermeiden. Die Grundlage der Osteopathie ist also immer die eingehende Untersuchung durch Tasten, eventuell unterstützt durch andere Diagnose-Maßnahmen, z.B. Röntgen, Computer-Tomographie und die lange Palette der möglichen Testverfahren.
Teilgebiete in der Osteopathie
1. Osteoartikulärer Bereich
Diagnose und Behandlung von Dysfunktionen der Gelenke des Körpers unter Beachtung funktioneller Zusammenhänge.
2. Viszeraler Bereich
Umfasst den Bereich der inneren Organe und deren Zusammenhänge zum Gesamtorganismus. Besonders in Hinsicht auf hormonelle und neuro-vegetative (sympathische und parasympathische) Steuerung. Außerdem fällt in diesen Bereich die Regulierung von Spannungen des Gefäßsystems, die z.B. im Rahmen der Verarbeitung und Anpassung an langdauernde Stresszustände oder emotionale Verletzungen auftreten, und deren Ausdruck in der Körperhaltung.
3. Cranio-sakraler Bereich
Der Name ergibt sich aus den beiden grundlegenden Elementen des cranio- sakralen Systems Cranium = Schädel und Sacrum = Kreuzbein. Das cranio- sakrale Konzept wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts von dem Osteopathen Dr. W. G. Sutherland (1873-1954) entwickelt und als Teilgebiet in die Osteopathie integriert.
Behandlungstechniken der Osteopathie
Die festgestellten osteopathischen Dysfunktionen werden durch verschiedene Behandlungstechniken gelöst. Ich möchte die wichtigsten kurz beschreiben.
1. Osteoartikuläre Techniken
Sie wirken auf die Gelenke des Körpers und sind Grundlage der Arbeit im Bereich von akuten und chronischen Problemen und Schmerzen des Bewegungsapparates (von Arthrose über Hexenschuß bis zu Schwindel und Verstauchung).
- Mobilisationen: Die eingeschränkten Bereiche werden durch sanfte Bewegungen gelöst.
- Manipulationen mit Impuls: Sie dienen zur Lösung von Gelenken. Charakteristisch ist das bei der Lösung der Blockierung auftretende Knacken.
- Myotensive (Muskelenergie) Techniken: Dienen ebenfalls zum Lösen von Gelenkblockierungen und stellen oft eine sanftere Möglichkeit zu den Manipulationen dar.
Die Wirksamkeit dieser Behandlung geht weit über die lokal angewendete Technik hinaus. Wenn ein Gelenk in seiner Beweglichkeit verbessert wird, werden sich daraufhin auch alle anderen Bereiche des Körpers neu einstellen, die allgemeine Kompensationsfähigkeit wird verbessert und schon eingetretene Kompensationsverluste mit Symptomen können sich oft auflösen. Ein Beispiel soll dies erläutern:
Ein Mensch klagt immer wieder über Schmerzen im unteren Rücken bis zur Hüfte. Massage und Krankengymnastik bringen zwar Linderung, aber keinen durchgreifenden Erfolg. Spritzen helfen kurzfristig, der Schmerz kehrt jedoch immer wieder. Manualtherapeutische Behandlung des llio-Sakral-Gelenkes (Gelenk am Becken zwischen Hüftbein und Kreuzbein) hilft für einige Zeit, der Schmerz kommt jedoch wieder. Es liegt eine altersentsprechende Veränderung der Wirbelsäule ohne Bandscheibenproblematik vor.
Bei der osteopathischen Untersuchung fallen nun einige Dysfunktionen des Fußes auf, an die sich der Patient bei Nachfrage dann auch erinnert (vor Jahren beim Fußball umgeknickt). Dieses wiederholte Umknicken hat die Knochen des Fußes in ihrer Beweglichkeit blockiert und erfordert kompensatorische Spannungen im Muskel-Gelenk-System. Einige dieser Möglichkeiten der Kompensation zwingen das Hüftbein durch Zug der Muskeln des Beines in eine Anpassung, so dass die freie Beweglichkeit in Becken, Hüfte und Lendenwirbelsäule eingeschränkt ist. Das kann den immer wiederkehrenden Schmerz des unteren Rückens bewirken. Eine Behandlung des Symptoms (Rückenschmerzen) wird also nie einen dauerhaften Erfolg erzielen können, solange die primäre Ursache, in diesem Falle der Fuß, nicht behandelt ist.
Selbstverständlich ist dies nur ein Beispiel, welches die Ursachen-Folgen-Ketten verdeutlichen soll. Man kann sich in dieser Logik sehr viele Verkettungen konstruieren (z.B., umgekehrt wie oben, Fußprobleme als Auswirkung einer absteigenden Kompensation vom Becken her), aber in der Praxis immer wieder neue finden, als Ausdruck der ökonomischen Reaktionen des Körpers und unserer Genialität, auch bei großen und/oder langdauernden Problemen unser Funktionieren zu sichern.
2. Viszerale Techniken
Sie wirken auf den Bereich der inneren Organe, aber auch reflektorisch auf den Bewegungsapparat und die Atmung. Diese Techniken sind wichtig bei chronischen Erkrankungen und ständig wiederkehrenden Beschwerden im Bereich der Organe selbst und am Bewegungsapparat, z.B. chronische Schmerzzustände im Bereich der Wirbelsäule.
Die Behandlungstechniken verbessern die Beweglichkeit und die Eigenbewegungen der Organe, d.h. ihre Bewegung und Verschieblichkeit im Zusammenhang mit der Atmung und Körperbewegungen, außerdem die Bewegungen der Organe gegeneinander, mit der sie sich gegenseitig unterstützen, wie die Zahnräder einer Uhr. Diese Art der Behandlung ist, wie die u.g. cranio-sakralen Techniken meist sehr sanft, fast wie "Handauflegen".
Außerdem verbessern sie die Beweglichkeit der Organe gegenüber ihren Verbindungen mit der Körperrückwand. Diese enthalten die Blut- und Lymphgefäße der Organe, sowie deren Nerven zur Verbindung mit dem zentralen Nervensystem.
Ein Beispiel: Ein Mensch hat immer wiederkehrende Schmerzen zwischen den Schulterblättern und im Nacken, ab und zu hat er ein Kloßgefühl im Hals. Tabletten und Massagen haben für eine gewisse Zeit geholfen, sie verlieren aber zunehmend an Wirksamkeit. Krankengymnastik konnte die Beschwerden reduzieren. Außerdem geht der Betroffene nun viermal in der Woche schwimmen, was ihm sehr gut tut. Trotzdem verstärken sich die Beschwerden nach einigen Jahren zunehmend.
In der Vorgeschichte des Patienten findet man eine Empfindlichkeit des Magens. Nach großen Mahlzeiten und sauren oder süßen Nahrungsmitteln hat er manchmal Sodbrennen. Wenn er aufgeregt ist, "schlägt dies auf den Magen".
In der Untersuchung findet man eine Gastroptose (der Magen ist abgesunken - dies ist ein häufiges Phänomen, in der "klassischen" Medizin jedoch ohne Interesse!). Dies muss durch ein Tiefertreten des Zwerchfells (Atemmuskel) kompensiert werden, was sich in einer Haltungsveränderung ausdrückt (der Patient muss sich leicht nach vorne beugen). Wenn dies im Laufe der Jahre nicht mehr ausreicht, kann es zu Spannungen im Bereich des Magens und der Speiseröhre und dem Herzbeutel kommen, der durch weitere Haltungsveränderungen und damit eine höhere Spannung der Muskeln im Bereich der Schulterblätter kompensiert werden kann. Gleichzeitig kommt es zur Erhöhung der Spannung im Nacken (mechanisch durch Zug und neuromuskulär durch Reizung des Nervus phrenicus, der das Zwerchfell und das Bauchfell im Bereich des Oberbauches innerviert). Die Tabletten, die der Patient genommen hat, "schlugen ihm damals auch schon auf den Magen", was das eigentliche Problem noch verschlimmerte.
Durch osteopathische Behandlung des Magens und der umliegenden Organe (also ganz weit weg vom Schmerzbereich!) kann oft eine Verbesserung der Spannungsverhältnisse erreicht werden. Gleichzeitig sollte eine Beratung zur Anpassung der Nahrungsmittel und der Eß- und Trinkgewohnheiten erfolgen, um die Belastungen des Magens und der Verdauung zu reduzieren.
3. Cranio-sakrale Techniken
Sie arbeiten mit dem cranio-sakralen Rhythmus. Dies ist ein am ganzen Körper tastbarer Bewegungsrhythmus (wie Pulswelle oder Atmung), der allerdings sehr subtil ist. Das Ertasten dieses cranio-sakralen Rhythmus bedarf zwar einiger Übung, ist aber generell für jeden Interessierten zu erlernen. Eine endgültige Klärung der Entstehung dieses Phänomens steht bis heute noch aus. Dr. Sutherland hat auf der Grundlage dieses Körperrhythmus ein Konzept für Diagnostik und Therapie entwickelt. Es erlaubt die Arbeit mit jedem Gelenk des Körpers, inklusive der Schädelnähte. Anwendungsbereiche für dieses Teilgebiet der Osteopathie anzugeben würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Deshalb möchte ich nur einige Beispiele nennen.
Die Behandlung nach Schädel-Hirn-Trauma, Schleudertraumen, Schädeloperationen und der ganze Bereich der Kiefergelenksprobleme, hier in der Zusammenarbeit mit Zahnärzten und Kieferorthopäden oder - chirurgen. Auch das Hals-, Nasen-, Ohrengebiet kann auf diese Weise oft erfolgreich behandelt werden.
Die Behandlung von Säuglingen ist auf dieser Ebene ebenfalls sehr effektiv. Es ist z. B. möglich, Geburtstraumen nach einer sehr schnellen, bzw. sehr langen Geburt und dem Einsatz von Zange und Saugglocke, zu behandeln. Die hierbei auftretenden disharmonischen Kräfte können das vom Kind selbst regulierbare Maß überschreiten. In diesem Falle bietet die cranio-sakrale Osteopathie eine sehr effektive Möglichkeit, eine eventuell aufgetretene Verschiebung des noch nicht verknöcherten Säuglingsschädels zu korrigieren. Das so genannte "KISS-Syndrom"ist oft nur eine Auswirkung der beschriebenen Problematik und oft keine Blockierung der Kopfgelenkebeim Säugling! Eine frühzeitige Korrektur einer Dysfunktion auf dieser Ebene bewahrt das Kind davor, ein asymmetrisches Wachstum, mit seinen späteren Folgen, auszuprägen. In Kombination mit dem viszeralen Konzept ist darüber hinaus eine Möglichkeit gegeben, auf Verdauungsstörungen, Erbrechen, Allergien, Übererregbarkeit und vieles andere positiv einzuwirken.
Darüber hinaus haben sehr viele Osteopathen noch weitere Behandlungstechniken entwickelt, die als Werkzeuge von den Therapeuten für jede Situation nach Bedarf ausgewählt werden können. Es würde jedoch den Rahmen einer Kurzdarstellung sprengen, alle hier darstellen zu wollen.
Verständnis für das Zusammenspiel des Gesamtorganismus
Nach der Vorstellung all dieser Techniken erscheint es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese ihren Stellenwert nur im Rahmen des Gesamtkonzeptes der Osteopathie (Osteopathie-Philosophie) haben. Jede Technik, ohne den dazugehörigen Hintergrund der Kenntnisse von Anatomie und Physiologie wird immer nur Stückwerk und Versuch-Irrtum bleiben. So sind auch die drei beschriebenen Bereiche der Osteopathie Teile eines Ganzen, die nur zusammen eine vollständige Therapie ergeben. Ein einzelnes Gelenk zu manipulieren ist meist keine sinnvolle Behandlung. Osteopath und Patient arbeiten gemeinsam an den Hindernissen auf dem Weg zu Gesundheit und Wohlbefinden, um die Hemmnisse entweder zu beseitigen oder bewusst zu machen und so ein immer tiefergehendes Verständnis des Zusammenspieles des Gesamtorganismus (Körper, Geist und Seele), zu erreichen.
Durch die Osteopathie werden die Selbstheilungskräfte des Menschen mobilisiert und körperliche (und häufig auch psychische) Blockaden aufgelöst. Die so wiedergewonnene Freiheit erlaubt es dem einzelnen, sich den Anforderungen des Lebens in freier Beweglichkeit stellen zu können. Osteopathie sieht sich nicht als Konkurrenz zur "klassischen" Medizin. Jedoch ergibt sich durch ein anderes Welt- und Menschenbild und die damit unterschiedliche Setzung der Schwerpunkte im Umgang mit Menschen ein gebührender Raum und die Notwendigkeit für die Osteopathie!
Im direkten körperlichen Kontakt während Diagnostik und Behandlung eröffnet sich der Wert der Osteopathie. Ihre praktische Umsetzung erfordert langes Üben und Training manueller Fertigkeiten und Schulung der Sensibilität, deren Bedeutung in der Ausbildung und Arbeitsweise der klassischen Medizin unserer Zeit nicht erkannt wird. Die Schwerpunkte der Schulmedizin in der Pharmakologie und Operationstechnik haben einen grundlegend anderen Ansatz, aber in ihrer Wirksamkeit unbestreitbaren und oft genug lebensrettenden Wert. Im Erkennen und Behandeln funktioneller Störungen und dem Einbinden des Menschen in seiner Umwelt findet diese "Notfallmedizin" jedoch oft ihre Grenzen.
Ausbildung
Ausbildung und Beruf des Osteopathen ist nach unserem aktuellen Wissen nur in England und den USA gesetzlich geregelt - d.h. dieser Beruf ist dort Teil der offiziellen medizinischen Versorgung. In Deutschland gibt es demzufolge keine offizielle Regelung oder Anerkennung. Die inzwischen hier angebotenen Studiengänge (meistens Ableger von belgischen, französischen oder kanadischen Schulen) unterscheiden sich sehr stark in Umfang und Art der gebotenen Ausbildung. Informieren kann man sich bei den Schulen oder Verbänden, die sich allmählich etablieren.
Anwendungsbereiche für die Osteopathie
Wie aus dem bisherigen Text hervorgeht, ist es im Prinzip nicht sinnvoll Indikationen (Heilanzeigen) für die Osteopathie zu nennen und sie damit auf einzelne Bereiche festzulegen.
Der Osteopath behandelt keine Krankheiten, sondern Menschen, unter Anerkennung ihrer individuellen Einzigartigkeit. Die Beseitigung von Symptomen, wie z.B. Schmerzen oder anderer Probleme wird selbstverständlich angestrebt, ist im Grunde aber nicht das Ziel der Behandlung, sondern "nur" ein Ergebnis der Auflösung von Einschränkungen/osteopathischen Dysfunktionen jeder Art. Ist dies der Fall, so wird die sinnvolle "Warnlicht-Funktion" des Symptoms in den meisten Fällen nicht länger nötig sein und es kann wieder verschwinden.
Da die Osteopathie jedoch in Deutschland noch relativ unbekannt ist, möchten wir trotzdem einige Beispiele nennen, um eine Orientierungsmöglichkeit zu bieten.
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Wir wollen an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass sich die Osteopathie auf die Befreiung der Selbstheilungskräfte stützt - bei sehr ernsten oder akuten Erkrankungen (Krebs, viele Infektionserkrankungen), oder z.B. den o.g. Systemerkrankungen kann eine effektive Unterstützung gegeben, bzw. begleitend behandelt werden. Die Osteopathie ist hier meist nicht die erste Wahl, sondern eine sinnvolle Ergänzung zur "klassischen" Medizin.
Markus Hirzig - Osteopath & Heilpraktiker
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