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Der kleine Aderlass
So nenne ich das Ansetzen der kleinen Tiere, die mit ihrem Vermögen, uns "anzuzapfen", lebensrettend sein können, hilfreich in jedem Fall.
Natürlich sind die Saugvorgänge des Blutegels kein reiner Aderlass, weder groß noch klein. Im Gegenteil: man muss korrekterweise sagen, dass, wie so oft bei anhaftenden saugfähigen Tieren, uns etwas gegeben wird: Im Falle unseres Blutegels sind es im Wesentlichen zwei Enzyme, die einen Einfluss auf unser Blut haben: Hirudin und Heparin (Blutgerinnungshemmer). Der Blutegel wirkt also nicht nur als Parasit an uns, er macht es sich zunächst erst mal etwas einfacher, indem er sich das "dicke" fließlangsame Blut verdünnt, um es besser aufnehmen zu können. Im Umkehrfall hilft er uns, wie es in einer guten Symbiose der Fall sein sollte, mit dieser Verflüssigung unseres Blutes. Das nämlich und das Hintransportieren frischen, unverbrauchten Blutes in die lokale Region, sind die Hauptabsicht des Blutegelanlegens.
Die allgemeine Wirkung dieser zur Gattung der Ringelwürmer gehörenden Tiere ist also eine Erleichterung und Entlastung unserer Säfte im Allgemeinen. Eine Entgiftung von krankem Gewebe, Blut und Lymphe.

Die allgemeine Wirkung zielt auch auf eine Entzündungshemmung durch Erhöhung der Permeabilität des Blutes. Ja, eine Veränderung der Blutviskosität selbst wird erzielt. Und die Wirkung auf Stauungen, besonders ödematöser Art, ist nachgewiesen. Es werden Exsudate und Transsudate sowie Hämatome "aufgesaugt". Darüber hinaus kommt es zu allgemeiner Beruhigung, Schmerzverminderung und Krampflösung. Eine Erhöhung der Widerstandskraft ist die Folge.

Indikationen der Blutegel- mit gutem Erfolg:
1. Alle Entzündungsvorgänge
2. Alle Krankheitserscheinungen rheumatischer Natur, insbesondere Weichteilrheuma, aber auch akuter und chronischer Gelenkrheumatismus, periarthrale Schwellungen (hier sind besonders auch traumatische Gelenkergüsse und andere Stauungen infolge traumatischer Einwirkung oder/und operativen Eingreifens zu nennen).
3. Alle Krankheitszustände, bei denen spastische Erscheinungen, besonders der Blutgefäße, mehr oder minder stark vorhanden sind (Migräne, Angina pectoris, Eklampsie, Dysmenhorrhoe).
4. Egelbehandlung bewirkt, dass die Menstruation hervorgerufen wird oder diese verstärkt, falls Egel am unteren Bauch, in der Iliosakralgegend oder an der Innenseite des Oberschenkels angesetzt werden.
5. Blutegeltherapie ist blutreinigend und bluterneuernd.
7. Blutegelanlegen ist ein Prophylaktikum für Thrombosen und Embolien.
8. Blutegel sind überall dort angezeigt, wo ein Aderlass aus der Vene nicht möglich ist.
9. Bei Störungen der Kreislaufregulation örtlicher und allgemeiner Art.

Indikationen der Blutegel- mit geringem Erfolg:
1. Alle hyperplastischen Prozesse, soweit nicht sekundäre Blut- oder/und Lymphstauungen rein symptomatisch im Sinne einer Erleichterung angegangen werden sollen.
2. Rein degenerative Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems oder am muskulären Apparat.
3. Neuralgien, Neuritiden (aber Herpes zoster gut!!!).
4. Alle rheumatischen und degenerativen Erkrankungen, insbesondere der ossalen Form des chronischen Gelenkrheumatismus und der Arthrophatia deformens.
5. Störungen des Gesamtorganismus (Stoffwechselkrankheiten, Allergenosen).

Etwas über Vorkommen und Biologie des Blutegels:

Ich zitiere aus Brehms Tierleben:
"Die in Europa gebräuchlichen Blutegel werden zwar in zwei Hauptarten, jede mit einigen Unterarten und Varietäten, unterschieden, den MEDIZINISCHEN oder DEUTSCHEN BLUTEGEL (Hirudo medicinalis)und den OFFIZINELLEN oder UNGARISCHEN BLUTEGEL (H. officinalis). Aber abgesehen davon, dass anatomische Kennzeichen für die Verschiedenheit dieser Art nicht gefunden werden können, gehen auch die Varietäten ihrer Färbungen so ineinander über, dass die vermeintlichen Spezies und Unterspezies nur eine einzige gute Art bilden. Die Hirudo medizinalis genannte Varietät hat einen schwarz gefleckten, zuweilen  fast ganz schwarzen Bauch, und ihr Vaterland erstreckt sich über den größten Teil von Europa, indem sie in Frankreich, Deutschland, Dänemark, Schweden, Russland und England gefunden wurde. Die andere Hauptvarietät, H. officinalis, hat einen olivgrünen, ungefleckten Bauch und gehört dem südlichen und südöstlichen Europa an."

SCHMEILS Tierkunde berichtet:
"Der medizinische Blutegel wird etwa 20 cm lang. Er hält sich vorwiegend am Grunde pflanzenbewachsener Teiche, Tümpel und Bäche auf. Über die olivgrüne gewölbte Oberseite ziehen rostbraune dunkelgefleckte Längsstreifen; die abgeplattete Unterseite erscheint heller.
Der Hautmuskelschlauch ist wie beim Regenwurm in zahlreiche Ringe geteilt. Borsten sind aber nicht vorhanden. Dagegen lassen sich auf den vorderen Ringen fünf Paar einfache, als schwarze Punkte erscheinende Augen erkennen. Am Vorder- und am Hinterende des Körpers findet sich je ein muskulöser Saugnapf, mit deren Hilfe sich der Egel nach Art der Spannerraupen fortbewegt. Sie dienen ihm aber auch zum Sichfesthalten an Tieren, von deren Körpersäften er sich nährt. In der Jugend saugt er sich an Schnecken, Kaulquappen und anderen Kaltblütlern des Wassers fest. Erwachsen ist er auf das Blut von Warmblütlern angewiesen.
Im Grunde des vorderen Saugnapfes erkennen wir den dreispaltigen Mund und in diesem drei hornige Kiefer, deren bogige Ränder mit scharfen Zähnen besetzt sind. Ist mit den Kiefern die Haut des Opfers durchsägt, so beginnt der Egel zu saugen. Dabei nimmt sein dehnbarer Darm, der zehn Paar große Blindsäcke aufweist, so viel Blut auf, dass der Körper unförmig anschwillt und das Gewicht des Wurmes um ein Vielfaches zunimmt. Von diesem Blutvorrat kann das Tier viele Monate lang leben."

Bei guter Fütterung tritt die Geschlechtsreife bereits nach einem Jahr ein. Die maximale Lebensdauer beträgt 25 bis 27 Jahre. Der Blutegelbiss hat die Form eines Mercedes-Sternes. Hat der Blutegel sich ordentlich voll gesaugt mit seinem Lebenssaft Blut, dann kann er davon 5-18 Monate existieren. Aber er ist bereits nach 2-4 Monaten wieder saugfähig.
Wer noch weitere interessante Feinheiten, zum Beispiel über die Häutung der Blutegel, die Details ihrer Fortpflanzung erfahren will, dem empfehle ich "Brehms Tierleben" Band 7, 1929.

Über den "Respekt", den Zoologen diesen Tieren gegenüber durchaus hegen, berichtet diese Notiz aus "Brehms Tierleben", die ich zum Abschluss gern wiedergeben will:
"Wir können dieses Kapitel nicht würdiger schließen, als mit der Schilderung jener kleinen verrufenen Blutsauger Ceylons, von denen SCHMARDA in seiner "Reise um die Erde" folgendes mitteilt: Die Plagen, welche die Schaben und Mücken verursachen, sind nichts gegen die viel größere, die den Wanderer überall verfolgt; denn in den Wäldern und Wiesen wimmelt es von kleinen Landblutegeln; es ist die Hirudo ceylonica älterer Berichterstatter. Sie leben im Grase, unter abgefallenen Blättern und Steinen, auch auf Bäumen und Sträuchern. Sie sind äußerst schnell in ihren Bewegungen und müssen ihre Beute schon aus einiger Entfernung wittern. Sobald sie einen Menschen oder ein Tier wahrnehmen, kommen sie aus der ganzen Nachbarschaft und stürzen sich auf ihre Beute. Das Aussaugen des Blutes merkt man oft kaum. Nach einigen Stunden sind sie voll gesogen und fallen dann von selbst ab. Die Eingeborenen, die uns begleiteten, bestrichen solche Stellen mit Ätzkalk, den sie in ihrer Betelbüchse mit sich führen, oder mit dem durch Betel und Kalk scharf gewordenen Speichel. Ich fand es natürlich, dass eine heftige Entzündung darauf eintritt und erklärte mir leicht die tiefen Geschwüre, die viele von den Eingeborenen an ihren Füßen haben. Viele betrachten den Saft einer Zitrone als ein Spezifikum. Alle diese Dinge sind recht gut, um durch Betropfen die Blutegel zum Abfallen zu bringen, müssen aber in der Bisswunde Reizungen hervorbringen. Besonders unangenehm ist es, dass die Blutegel solche Stellen am liebsten aufsuchen, wo ihre Vorgänger schon eine gute Weide gefunden haben, da die entzündete, mit Blut unterlaufene und wärmerer Haut sie lockt. Um sich gegen den Angriff dieses kleinen, aber fürchterlichen Feindes zu sichern, ist es unabweislich, besonders die Füße zu schützen. Dies geschieht durch lederne oder dicke wollene Strümpfe, die man über die Beinkleider anzieht und unter dem Knie festbindet. Wir fanden die Letzteren ausreichend und bequemer, führten jedoch immer ein Reservepaar mit, da sie sehr leicht im Dickicht zerreißen oder beim Gehen durchgerieben werden. Ich fand sie (die Blutegel) am Bund oft zu Dutzenden sitzen, bemüht durchzudringen. Während des Marsches litten wir viel weniger, am wenigsten leidet der Erste in der Reihe, denn  haben die Blutegel einmal Witterung, so fallen sie die Nächstfolgenden um so gieriger an. Selbst bei aller Vorsicht hatten wir sie bald im Nacken, in den Haaren oder am Arm, da sie nicht nur im Gras und Laub, sondern auch auf Bäumen leben, von denen sie sich auf die vorübergehenden Menschen und Tiere herabfallen lassen".

In der eigenen Praxis lässt die Biss- und Saugfreudigkeit der Blutegel, von der die alten Zoologen, nicht ohne gewisse innere Aversionen berichten, manchmal zu wünschen übrig. Warum das möglicher Weise so ist, mag die Praxis erklären, die es nun einmal heute ausschließlich mit der Blutegelzucht zu tun hat. Nach wie vor sind Transport und Haltung von Blutegeln wichtige Faktoren für die Munterkeit und damit auch Sauglust der Tiere. Denn was vom Laien und Tierliebhaber oft mit einer angewiderten(oder/und betroffenen) Mine quittiert wird, wenn wir von unserer Arbeit mit den Blutegeln berichten, das ist die ausschließliche Absicht, nämlich dass sie uns helfen, indem sie von unserem Blut möglichst viel saugen. Der Blutegel soll bissfreudig sein. Immerhin muss der Patient mit 10.-DM im Durchschnitt pro Egel rechnen. Es gibt aber auch genügend andere Gründe für Bissunlust, wie ich sie nennen will: da sind Medikamente, die der Patient ständig einnehmen muss, die dem Egel nicht so recht "schmecken", aber auch andere Stressoren wie parfümierte Seifen und Cremes wirken auf den Egel abweisend. Nicht zu vergessen Stress wie große Hitze, Scheinwerfer und andere, auch für uns noch wenig bekannte Umstände. Es heißt aber, dass Egel ganz besonders im Herbst gut beißen sollen.

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