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SPEKTRUM DER NATURHEILKUNDE

"Alte Verfahren - heute!"

Praxisbericht: Aderlaß - Schröpfen - Kanthariden - Baunscheidtieren - "Kardinalmittel"

von Siegfried Haußmann


Allgemeines

Überträgt man alte Therapieverfahren - alternativ zur Technikmedizin - in die heutige Heilpraxis, kann allein ein persönliches Interesse zum Selbstzweck damit verbunden sein. Oder es legitimiert das angestrebte Behandlungsziel, "altmodische" Vorstellungsinhalte über die menschliche Natur in ihren Grundzügen zu erkennen und das richtige Behandlungsverfahren auszuwählen. Auch in der "rationalen" Erfahrungsheilkunde liegt nämlich ein wissenschaftlich zu nennendes Potential: Die krankhaften Veränderungen erreichen ein Gesamtbild, aufgrund diesem die Therapie abgestimmt erscheint, weil beide Kategorien ihrerseits einer übergeordneten Gesamtheit entsprangen. So bilden methodisch "Individualisieren und Generalisieren die Grundlagen jeder Wissenschaft" (August Bier), so "geht alle (nichtpräventive) medizinische Tätigkeit vom kranken Menschen und seinen Beschwerden, dass heißt von den Symptomen der Krankheit, aus!" Nur "in der archaischen Medizin kommt die Theorie und besonders die Anatomie an letzter Stelle." 1 Deshalb ist der Ausspruch des Hippokrates erfahrungsgemäß zu verstehen, dass bei Beschwerden oberhalb des Zwerchfells nach oben purgiert und bei tiefergelegenen Beschwerden nach unten ausgeleitet werden muss, um eine Entleerung der überschüssigen oder schädlichen Stoffe (Dyskrasie) aus dem Körper zu erreichen, die den Menschen zurück in den Schutz der gleichmäßig verteilten 4 Weltelemente führt und ihn körperlich, seelisch und geistig in ein ausgewogenes Verhältnis zu den Temperamenten und Säften (Eukrasie) bringt. Theorie und Praxis, nach heutigem Verständnis zu tief getrennt, fließen, entsprechend dieser über 2500 Jahre alten Auffassung, ineinander und beeinflussen die fünf Kardinalmethoden: Abführen, Erbrechen, Blutentziehung, Schwitzverfahren und Kauterisation, wobei das schmerzhafte Brenneisensetzen in abgemilderter Form im Baunscheidtismus und in der Segmenttherapie wiederzuerkennen ist.2 Der Aderlass ist nunmehr keine archaische Kultoblation, ein religiöses Blutopfer, sondern eine austreibende Methode, die auf Beobachtungen aus der Natur beruht, wo Mensch oder Tier Symptome der Vikarisation aufweisen oder Entlastungsblutungen sich selbst zufügen.3 Dagegen ist die Auslegekunst der Zeichen der Natur, die Urform der Diagnosestellung, die "interpretatio naturae" (Hufeland), - wie im übrigen das trockene Schröpfen, die Trepanation, die Kräuterheilkunde -, wesentlich älter, als Blutentziehungen aus dem Adernsystem, oder das Blutegelverfahren (das hier leider nicht weiter behandelt werden kann) und ist bis in die prähistorische Zeit zu verlegen.4+5 Es finden sich auch zahlreiche, zum Teil recht kunstvoll gearbeitete Grabfunde (kupferne Schröpfköpfe, Brenneisen, Skalpelle, Strigelus etc.), aus römischer Kaiser- und Besatzungszeit (Germania superior/Bingen), ab dem 1. Jahrhundert n. Chr. ein.6 Temporäre Verirrungen, in den "Vampyrismus", in ein entsittetes "Badeunwesen"; fahrende "Medikaster", "Quacksalber" und sonstige "Pfuscher"7, belasten natürlich die gewaltige Substanz der an den Rand gedrängten Methoden, die zu der stark arbeitsteiligen Technikwelt und den darin erwirtschafteten Gütern und Arbeitsmitteln nicht so recht passen wollen. Aber ihr in den traditionell ausgerichteten Heilpraxen doch angehören und nach wie vor bemerkenswerte Heiloptionen, - vom fragwürdigen Image einer "Medizina crudelis" oder "Medizina pauperum" befreit -, dem Patienten abgeben.8 An den sich wandelnden Äußerlichkeiten darf die Übertragung von gestern auf heute sich nicht bindend festlegen. Sie wird immer scheitern, verkennt sie die Einmaligkeiten der besetzten Positionen: medizinisches Erfahrungswissen des Behandlers und Individualität des Patienten, beide Kulturwesen, deren Bewusstseinsentfaltung - bereits als biologische Überlebensstrategie - auf die Zukunft gerichtet ist und für Veränderungen ein öffnendes "Organ" besitzen...


Die Bader ( unsere direkten "Vorfahren")

Von wechselhaftem Nimbus war das Baderwesen besetzt. Es entstammt der Übernahme römischer Badegewohnheiten im frühen Mittelalter (Regula C. 46 des hl. Benedict von Nursia) und zunächst waren Pilger und Kreuzzügler eifrige Nutzer dieser hygienischen Einrichtungen (stubae balneatoriae), die der Seuchenabwehr dienen sollten und ein bestimmter Mönch beaufsichtigte, in Phasen der Verunsittlichung, eher als ein Seuchenherd zu betrachten waren (Syphilis). In ländlichen Gebieten pflegten Badeknechte und Bademägde die "Brechelbäder" und führten eigens errichtete hölzerne "Brech-Häuser" (Alpenvorland). Der dörfliche Bader heizte fürsorglich ein, bereitete das Wasser- oder Laugenbad vor, hängte außerhalb ein Tuch, eine Quastenmütze (jüdisch) oder einen Kräuterbüschel zum Öffnungszeichen hoch und setzte nach einer Massage dem Badenden auf der Schwitzbank Schröpfköpfe. Erst Ausgangs des 18. Jahrhunderts musste der Bader sich einer Überprüfung seines Könnens durch "Regierungs-Medicinalräthe" unterziehen, studierte vorher spezielle Lehrbücher (in denen u.a. anatomische Hinweise für den Aderlass standen) und ließ sich schließlich nach Lehr- und Wanderjahren nieder. Aktive Bader gab es in Bayern bis Anfang der siebziger Jahre unseres Jahrhunderts.9 Aus den mitgeführten Utensilien lassen sich Rückschlüsse auf die Haupttätigkeiten ziehen, wobei im europäischem Raum das tiefste und breiteste medizinische Wissen und Handeln (auf umfangreiches Buchwissen der jeweiligen Zeit basierend) aus dem Bauerndoktorentum Südtirols zu schöpfen sind.10 Dort treffen wir auf tierische, pflanzliche und mineralische Heilmittel, Geräte zur Arzneizubereitung (eingeschränkt ab dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts), Aderlasseisen, Aderlasslanzetten und Skarifiziermesser, Zahnwurzelheber und Zahnextraktonszangen (Pelikane), Skalpelle und Rasierbestecke. (Abb. 2)

Gliedereinrenken, innere Kuren, Bartscheren, gerichtliche Gutachten, Applizieren von ziehenden Pflastern und gelegentliche kleinchirurgische und tiermedizinische Eingriffe wurden von ihnen erwartet. Hinzu kamen im letzten Jahrhundert Magnetiseure, Wasserdoktoren, Naturärzte, Homöopathen usw., die ein zusammengewürfeltes Bild des historischen Fundus abgeben, zugleich aber die inzwischen gesetzlich in einheitliche Bahnen geführten Quellverläufe aufzeigen, aus denen der Berufsstand des Heilpraktikers sich entwickelt hat und in denen die Behandlungsinhalte dementsprechend aussehen und angewendet werden. Im Folgenden wird auf sie einzugehen sein und der Unterschied zwischen einem "Heiltheoretiker" und Heilpraktiker wird dabei immer wieder deutlich.

1) Die Ouvertüre - die Diagnose!

a. Wir sehen und tasten belastete Zonen an der Körperoberfläche des entkleideten Patienten und spüren schmerzhafte Punkte und Irritationen (Triggerpunkte, weitere nach Head und Mackenzie) mit den Händen auf.11 Mit zwei Fingern erfolgt paravertebral der "diagnostische Strich", wie wir ihn von der Bindegewebsmassage her kennen.12 Die vermehrte oder verminderte Wärmestrahlung des Körper ist mit der flachen Hand auszumachen. Sichtbare "Täler" oder "Hügel", Konsistenzveränderungen der Gewebe, Stauungsphänomene und Verfärbungen, lassen Rückschlüsse auf einen geänderten Stoffwechsel (Energieträger) zu. Oder wir entscheiden uns für den cuti-visceralen Sensibilitätstest mit dem Hautpinselchen und einer Nervnadel, um eine Piloarrektion auszulösen, welche die (gestörten) Verbindungen zu inneren Organen andeutet. Wer möchte und vermag, bedient sich vorher der Pulsdiagnose beim liegenden Patienten, zumindest, um die augenblicklichen Strömungsverhältnisse des Adernsystems zu erkunden und einen leeren "Pulsus vacuus" von einem vollen "Pulsus plenus" zu unterscheiden; aber auch, um durch Blutdruckmessung nach Riva-Rocci einen Aderlass sicher vorzubereiten.13 Unabhängig von der Anamnese werden wir so des Patientenleibes "habhaft" und entdecken weitere therapierelevante Vorgaben. Im Laufe der Zeit, lässt sich behaupten, bilden die Hände eine "diagnostische Fortsetzung der Augen". Dies trifft besonders auf die Abklärung von Gelenkverhältnissen zu, wo Bewegungssperren eingetreten sind.

b. Konstitutionelle und humorale Hinweise gibt die Betrachtung des Augenvordergrundes, vorzugsweise mit der plangeschliffenen Lupe. Das Verhalten der roten Blutkörperchen ist allerdings nur mit dem Hornhautmikroskop (20-fache Vergrößerung) auszumachen, doch starr austretende Gefäßäste (RR≠), Mäandergefäße (venöse Gefäßinsuffizienz), Gefäßtümpel (arterielle Durchblutungsstörungen), Druckbögen (Stauungen), Gefäßspindel (gestörte Aktion der Gefäßmuskulatur/ gar Aneurysma?), Rosenkranzgefäße (Blutungsbereitschaft) etc. sind vom lupenbewaffneten Auge gut auszumachen.14 Differenziert - vor blutentziehenden Maßnahmen - ist die wichtige Frage zu erörtern, ob ein "weißer" ischämischer oder ein "roter" plethorischer Hirnschlag droht. Desgleichen, ob nun eine "echte" Stasis mit Blut- oder Lymphpoolbildung vorliegt oder eine nerval-hormonal fehlgesteuerte Plethora (abdominalis). Im Irisstroma ist nach Entzündungszeichen, Aufhellungen oder Abdunklungen der humoralen Zonen (n. Broy am besten mit der Lupe zu erkennen) und nach Risiken in den Organfeldern Ausschau (Leber - Pfortader - Herz - Schilddrüse) zu halten. Das Alter des Patienten spielt jedesmal diagnostisch und in der Wahl der Mittel eine entscheidende Rolle. Patienten mit anhaltendem Bluthochdruck und Diabetiker werden von mir zum Augenarzt geschickt, der die Netzhautgefäße begutachtet. Das Herz wird abgehört und die Atmung beobachtet.

c. Symptome, z. B. aus der Befragung, zeigt möglicherweise auch ein eng umrissener Krankheitsherd (Gelenke, Entzündungsnester, dolor, calor und functio laesa), so dass wir dem Postulat: "heran an den Krankheitsherd" (Scharfbillig) bei genauso abgrenzbaren - nicht generalisierbaren, wie dem Aderlass - Verfahren, durch die Bewertung des Nerven-Blut-Lymphgeflechts am Ort des Geschehens einiges abgewinnen.15 Die Aufgabe der Lymphe wird einhellig hervorgehoben, denn: "überall wo Lymphe am Werk ist, findet ein Neuschöpfungs- und Heilungsprozess statt."16 Allein die gekonnte Durchführung einer Lymphdrainage, hat schon vielen kranken Menschen weitergeholfen und drastische Verfahren, wie die entziehenden und reizenden sie nun einmal sind, vermieden. Ein grobes (manchmal zweischneidiges) Richtmaß für die konstitutionelle Gliederung gibt Hufeland: Apoplektische Konstitutionstypen und cholerische Temperamente (Aurum, Belladonna) eignen sich für (alle) Blutentziehungen; die phthisischen Konstitutionen (der Neurastheniker) mit ihren melancholischen Anteilen sprechen dagegen auf Blutegelbehandlung, vorzugsweise über der Leber, unterhalb des rechten Rippenbogens (3 Stück Egel), auf Leberkompressen und trockenes Schröpfen vielversprechender an.

Groß angelegte Blutentziehungen an Depressiven und Schizophrenen müssen vermieden werden. Wie gesagt, der Einzelfall ist abzuklären, auch anhand einer auffälligen Verfärbung der Gesichtshaut, die auf eine toxische Gefährdung der Säfte schließen lässt, falls bräunlich-fleckige, grünliche, blaurote, schmutzig-graue oder gelbliche Umfärbungen zu entdecken sind. 17 Druckgefühl, Ohrensausen, vikarierendes Nasenbluten, Schwindelattacken, zu starke oder zu schwache Menses, - solche Schilderungen vom Patienten erregen zusätzlich unsere Aufmerksamkeit und vervollständigen das aus der Diagnose gewonnene subjektive Aufnahmebild.


2) Das Kernstück - die Therapieformen!

 

a. Der Aderlass

"Der Aderlass ist ein blutverbesserndes Mittel, ein ,Haematocatharticum' und außerdem ein entzündungshemmendes Mittel, ein ausgesprochenes Antiphlogisticum", schreibt Scharfbillig. Nach Galen übernimmt der Aderlass die ,Säftedirektion' und für Aschner ist er die Konstitutionstherapie schlechthin. Er verweist darauf, dass die Inder (Susruta) differenzierte Anwendungen schon sehr früh ausgearbeitet haben.18 Periodizitäten der Beschwerdebilder, Saller spricht von Tages- und Jahreskonstitutionen19, sind möglichst einzubeziehen. Der große Aderlass wird am besten 6 Tage vor Vollmond bei niedrigem atmosphärischen Luftdruck, höchstens 2 mal im Jahr - nach der Hildegardmedizin von einer schleimlosen Diät begleitet - durchgeführt. Da die klassische Venaesectio der mittlerweile geläufigen Venaepunctio gewichen ist, suchen wir einmalig das Gefäßsystem an der V. basilica, V. cephalica oder an der anastomierenden V. intermedia zu eröffnen (was bei Adipösen zuweilen zur Kunst wird) und entnehmen, in Abstimmung zum Körpergewicht und zum vorher untersuchten Allgemeinzustand des Patienten, für Reize auf das erythopoetische System (Anämie, Chlorose etc.) geringe Mengen (20 bis 50 ml), für die generalisierte Entlastung des Säfteumlaufs (Entzündungen, Lungenödem, Plethora etc.) größere Mengen (150 bis 250 ml) Blut. Desinfiziert, um der Lumenminderung der Vene durch Verdunstungskühle aus dem Weg zu gehen, wird mit Waschbenzin. Der Arm wird gestaut und die 1,1 bis 1,5 mm dicke Flügelkanüle ausreichend fixiert. Die Versorgung der Einstichstelle beim nachruhenden Patienten geschieht - wie nach jeder Injektion - im Sinne der Hygienevorschriften. Schlägt die zu Beginn dunkelrote Blutfarbe beim großen Aderlass in eine helle um, wird die Zuleitung in das Auffanggefäß (Meßzylinder) von einer Klemme unterbrochen. Auf eine erzwungene technisch-physikalische Absaugung von Blut aus dem Adernsystem möchte man freilich verzichten, so dass nur wenige Utensilien diese Maßnahme unterstützen. (Abb. 4) Kontraindiziert ist der Aderlass bei sehr alten Patienten, vor anstehenden Operationen, bei konsumierenden Erkrankungen, während der Rekonvaleszenz (bis zu einem Jahr), während Gravidität und nach der Geburt sowie in der Phase kritischer oder heilsamer Schweiße. (Galen)

 

Dekokti Zittmanni
Rp. (Fortius)
Rad. Sarsaparillae concis 480,0

    infunde aqu. font. 48 Liter,
    digere per horas 24 adde


Sacchari aluminati 60,0
Calomel 20,0
saculo linteo inclus.
Cinnabaris ptt. 5,0
(decantha)
coque ad 16 Liter, sub finem coctionis adde
Semin. Anisis contus.
Semin. Foeniculi contus. aa 20,0
Fol. Sennae 120,0
Rad. Liquiritiae conc. 60,0
Colat. exprime, decantha
S. Decoct. Zittmanni "fortius"

Rp. (Mitius)
Rad. Sarsaparillae conc. 240,0
cum speciebus a decocto
fortiori residuis mixtis
coque c. aqu. font. 48 Liter ad 16 Liter, sub finem coctiones adde
Cort. Citri concis.
Corticis Cinnamomi concis.
Cardomomi concis
Rad. Liquiritiae concis. aa 19,2
cola, exprime, decantha
S. Decoct. Zittmanni "mitius"

Praxisfall 1 (Aderlass): Patient (60) klagt über periodisch auftretende "stenokardischen" Beschwerden und bei Stress über das Gefühl eines aufsteigenden "Schwirrens" in der linken A. carotis. Außerdem befällt ihn Gedächtnisschwäche, Wetterfühligkeit besonders in der Herzgegend mit Druckgefühl und Nervosität, morgens, wenn Anforderungen gestellt werden. Bewegung bessert nicht. Sein Gesicht ist leicht gerötet und es besteht Übergewicht, er wird von seiner Frau gut bekocht. Der erstgemessene Blutdruck beträgt li. 150/110 und re. 145/95 im Liegen, wobei schwankende Druckkrisen anamnestisch nicht auszuschließen sind. Die Pulswellentastung stellt einen harten und inäqualen Puls mit einer Frequenz von 64 Schlägen in der Minute fest. Die Irisrandzone begrenzt beidseitig ein Arcus senilis. Nächtlicher Urindrang tritt gelegentlich auf, Ödeme sind aber keine zu entdecken. Zunächst wird der Patient 1x wöchentlich im Nackenbereich blutig geschröpft. 3 Gaben Glonoinum C30 und Kostumstellung. Morgendliche kalte Sekundentauchbäder der Unterarme und 1-2 initiale Glaubersalztage begleiten die Therapie mit häuslicher Anwendung. (Hierin äußert sich der Gedanke Hufelands, dass inäqualer Puls abdominellen Ursprung hat.) Dann wird ein Aderlass in der zunehmenden Mondphase vereinbart und durchgeführt, der allerdings nach der Entnahme von 80 ml Blut durch Venenschluss zum Erliegen kam. Das Funktionsmittel Nr. 5 aus der Schüßlerreihe, morgens früh 10 Tabletten in Wasser gelöst, bekommt dem Patienten gut. Seitdem sind seine Beschwerden, 3 Monate später, wesentlich abgesc>


Übertragung unterbrochen

erosierung ist nur mühsam aufzuhalten. Um eine zu frühe Digitalisierung zu vermeiden, nimmt der Patient weiterhin durchgehend eine Gefäß-Herzmischung mit einer Spartium(Komponente, abends 1 Kapsel Vitamin E (1000 mg) und 5 Tabletten Silicea D12. Eine Schlüsselrolle spielen in diesem Fall gewiss die blutentziehenden Maßnahmen, die - maßvoll wiederholt - die Beschwerden lindern und die Arbeitsfähigkeit bis zum Erreichen der Altersgrenze erhalten.

b. Blutiges und unblutiges Schröpfen

Die Schröpfkopfmethode ermöglicht dem Behandler einerseits die flächig vorbereitete Umstimmung des Patienten-Stoffwechsels und andererseits - ab- und ausleitend - über ausgewählte Zonen und eng umrissene Stellen (Akupunkturpunkte), heilsam einzuwirken. In den alten Baderstuben wurde, vor dem beliebten Schröpfen, der Körper zunächst gewaschen und die Füße anschließend in ein warmes Bad gesteckt, um den Blutumlauf zu beschleunigen.20 Die Diagnostik entscheidet darüber, wo, ob blutig oder unblutig, und wie lange geschröpft werden soll, bzw. wieviel Schröpfköpfe in Anwendung kommen. Ein gewisses Arsenal an Sauggläsern von 1 bis 6 cm Durchmessern ist erforderlich. (Abb. 5) Der Bindegewebsmassage des Rückens eines nicht zu hautempfindlichen Patienten, kann das trockene Schröpfen, mit oder ohne erwärmende bzw. neutrale Gleitmittel, folgen. Der Verfasser verwendet i. d. R. die warmmachende Schröpfsalbenrezeptur n. Broy, lichtreiches Rotöl der Firma Jukunda - oder die Frage erübrigt sich, wie beim blutigen Schröpfen. Eine Kombination aus Baunscheidtieren und trockenem Schröpfen ist gleichfalls möglich und bezieht subcutan die segmentale Reiztherapie in verstärkender Weise mit ein.21 Unblutiges Schröpfen nach der sensiblen Rhythmischen Massage (Dr. Hauschka und Dr. Ita Wegman) baut "Disstress" ab, da die Haut dem ektodermalen Keimblatt des Nervensystems angehört, und senkt den Blutgefäßdruck, weshalb der Patient nach der Behandlung sorgfältig "eingepackt" nachruht. Es verschiebt unmittelbar die Lymphe und wirkt schnell ableitend, wenn die nicht zu großen Glasköpfe - unter Aussparung der supra-scapularen Areale - im Nacken-Schulter- bereich fiebrig erkälteter Kinder aufgesetzt werden.22 Eine Art Pendelbewegung der Säfte bewirkt die Schröpfkopfmassage mit hohen Gläsern (siehe Abb. 5) seitlich entlang den Wirbeldornfortsätzen, über den Muskeln Erector spinae, Latissimus dorsi und Splenius capitis, wobei hier jedesmal ein Gleitmittel erforderlich wird. Paravertebrales unblutiges Schröpfen geht sinnvoll späteren chiropraktischen Eingriffen voraus. Ob im Falle eines Lumbalsyndroms mit Beteiligung des N. ischiadicus, blutiges oder unblutiges Schröpfen notwendig wird, ist diagnostisch abzuklären (Harnsäureausfällung = Wärme Ø, chron. Ischialgie = Wärme ≠, aber beidemal wird trocken geschröpft; toxische Neuritis oder rheumatische Neuralgie = es wird blutig geschröpft). Zu starke und/oder schmerzhafte Menstrualsyndrome werden angesichts einer auffälligen Menseszone 2-3 Tage vor ihren gewohnten Eintritt blutig geschröpft. Das facettenreiche Schröpfverfahren verlangt mehr Aufwand als der Aderlass. Von einem Schröpfschnepper hervorgerufene Inzissuren hinterlassen oftmals unschöne kleinere Narben, ein Folge, die der Verfasser nach der Skarifizierung der Hautoberfläche von freier Hand mit Blutlanzetten nicht gesehen hat, wenn man die anatomisch vorgegebenen Hautfederungen beachtet. Der Patient ist sowieso auf die schmerzhafte Verletzung vorzubereiten (Einatmen - Ausatmen) und auf mögliche Veränderungen der Haut (Pigmentierungen, Narben, Wundheilung) hinzuweisen. Vor dem blutigen Schröpfen wird die Haut an dieser Stelle zusätzlich mit einem Jod-Propanolgemisch desinfiziert, gegebenenfalls rasiert, mit einem Hautstift die zu stichelnden Stellen genau markiert und nach dem vorsichtigen(!) Abnehmen der blutkuchengefüllten Gläser von Tupfern und Hansaplast abgedeckt.

 

c. Kanthariden und Baunscheidtismus

Das Setzen blasenziehender Pflaster und die Provokation örtlicher allergischer Reaktionen durch geringe Histaminfreisetzung sind die heute noch gebräuchlichen Techniken, den Lymphfluss anzuregen, die tiefergelegenen Entzündungen aufzulösen und das Versorgungsumfeld eines chronischen Krankheitsherdes günstig zu beeinflussen. Hautausschlagerzeugende Mittel erwähnen (lt. Aschner) zur Zeit der Barocke Munari/Treviso und Jetel/Prag. Da vom Behandler nicht die Methoden eines Folterknechts erwartet werden, verzichten wir auf Fontanellenbildungen aufgrund von Brenneisensetzen (Kautherisieren), Haarseil, Ätzmittel und gravierende Pustulantien mit Krebsgefahr (Crotonöl), welche genauso gut von ziehenden Pflastern aus der Spanischen Fliege (Cantheroplast, Spezialpflaster Bock) oder vom Baunscheidtieröl (GA 301) ersetzt werden. Der Patient muss dafür allerdings öfter kommen. Gerade das sorgfältig in seiner Größe ausgewählte Kantharidenpflaster, ist über Gelenke ein effizientes ableitendes Mittel, segmental einbezogen ein "heroisch" umstimmendes dazu. So leiten wir allzeit einmalig (im Unterschied zu Scharfbillig, der nach 4 Wochen ein zweites Pflaster an gleicher Stelle anbringt) niemals mit Kanthariden in der Kniekehle (Fossa poplitea) aus oder ab, sondern bevorzugen die "Knieaugen" (Regio genus anterior) - auch weit genug entfernt von den edlen Nieren und Geschlechtsorganen -, falls Kanthariden über einen seitlichen pulmonalen Herd oder für andere Zwecke gebraucht werden. Der, von einer 2er-Kanüle, angestochenen reifen Hautblase, entnimmt man bis zu 1 ml ihres Inhalts und reinjiziert ihn (im autonosodalen Sinn) i.m. in die gegenüberliegende Seite.

TAB. 1: Erläuterungen zur Schautafel von Carl Baunscheidt (Abb. 7)
A bis P beginnend paravertebral bis zur Hinterhauptschnuppe (alle WS-Beschwerden)
B einmalig geschnellt hinter dem Ohr (Mastoid) bei chron. Otitiden
C einreihig vom Achillessehnenansatz (M. gastrocnemius, Tendo) bis zum Caput media
E beidseitig rund um den Trochanter major (Coxarthrose, Knieaugen: Gonarthrose)
F zweireihig über Menseszone/auf Höhe des Promontoriums (Hämorrhoidalleiden, Obstipation, Hypomenorrhoe)
G + D + H Mittelbauchgegend (Leber, Milz, Darm/Magen) bei spastischen Beschwerden
J Herzgegend (eher re. und/oder li. Rippenbogen bei Asthma bronchiale)
K M. pectales (Maximalpunkte suchen bei Stenokardien)
L Oberarmgelenke (Arthritis humero-scapularis, Tennisarm etc.)
M unterhalb rechtes und linkes Schlüsselbein (Bronchialkatarrh)
N Unterarm-Beugesehne (Karpaltunnelsyndrom, chronische Tendovaginitis)
O Fußsohlen (?)

Nach dem Eingriff versorgt man ausschließlich die Ränder des von der Epidermis befreiten Areals mit Pastae Zinci mollis oder derma-loges Wundsalbe und polstert mit Mullwatte nochmals luftig ab. (Hilfsmittel siehe Abb. 7) Ohne anhaltende bräunliche Pigmentierung zur Erinnerung an das stundenweise sehr schmerzhafte Ziehpflaster, geht es beim Baunscheidtverfahren ab.

Praxisfall 2 (Baunscheidtverfahren): Erstmals sind bei einem 40-jährigen Patienten vor 2 Jahren entzündlich-verdickte leicht gerötete Stellen an den Fingergrundgelenken und Berührungs-/Belastungsschmerzen an beiden Knien aufgetreten. Polyarthritis. Sogleich, denn bei einem erstmaligen Schub besitzen wir die besten Karten, werden die zu behandelnden Stellen desinfiziert und der auf 2-3 Millimeter Eindringtiefe eingestellte "Lebenswecker" tritt in Aktion. Die gestichelten Areale wurden mit GA 301 (Firma Madaus) betupft und die zuerst juckende Hautoberfläche bildete für zirka eine dreiviertel Stunde ordentliche Hautquaddeln, die außerdem gebürstet werden dürfen, wenn absolut kein Blutstropfen ausgetreten ist. Die Behandlung wiederholte sich innerhalb einer Woche dreimal, ein Entsäuerungstee wurde verschrieben und eine langfristige Zucker-, Fleisch- und Wurstkarenz angeraten. Die Entzündungssymptome klangen daraufhin innerhalb von 3 Wochen ab und sind seitdem nicht mehr aufgetreten.

Alle Arthrosen reagieren im Anfangsstadium ebenso auf Kanthariden wie auf Baunscheidtismus.
Die mit dem "Lebenswecker" zu bearbeitenden Stellen wechseln von Patient zu Patient, richten sich nach örtlichen, zum Teil knöchern-sehnigen Voraussetzungen, oder beziehen - wie beim Schröpfen - Akupunkturpunkte mit ein. Die originalen Anweisungen Carl Baunscheidts sind daher überwiegend historisch zu verstehen und müssen modifiziert werden.23 (Tabelle 1)

Von Rubificantia (Senföl, Senfmehl, Ingwerpulver, ekzematische Watte) gereizte Hautflächen, die keine Verletzung der Epidermis nach sich ziehen, versorgt man abschließend mit Nußbaumöl. Zu den Ableitungsverfahren der Haut gehören auch das volksmedizinische Schmierseifenbad, das Senfmehlfußbad und das Nasenrödern.

d. Alte "Kardinalmittel" und entlastende Kuren

Für Hufeland sind die Kardinalmittel "Heroen der Heilkunst", und er zählt Opium, den Aderlass und die (tartarischen) Brechmittel dazu, bzw. erwähnt die Decocti Zittmanni, die damalige pharmakologische "ultima ratio" im Anschluss an den Theriak. Hinzurechnen können wir den "Stahlwein" (Vinum chalybeatum), das wichtigste Roboranz mit Anteilen an Eisen, Chinarinde, Fieberklee, Pomeranzenschalen und Enzianwurzeln, später auch aus Weißwein, Meerrettich und Ingwer rezeptiert. Allerdings sind die sieben Kardinalmittel der säftereinigenden Pflanzenheilkunde heute wiederum andere: Brennessel, Schafgarbe, Knoblauch, Wermut, Seifenkraut, Johanniskraut und Zinnkraut werden genannt.24 Ebenso ist bei den Nachfolgern der Humoralmedizin das Antimon (Grauspießglanz) wieder in Gebrauch.25 Das erstmals unter dieser Bezeichnung von Constantinus Africanus (um 1050 n. Chr.) auftauchende Metall, widmete Basilius Valentinus seinen "Triumpfwagen Antimonii" (1604) und alchemistisch geprägte Untersuchungen.26 Antimonium crudum ist (n. Stiegele) in der Homöopathie ausführlich geprüft. Der Patient hat Symptome einer Skrofulose: chron. Blepharitis, juckende Augenwinkel, rote Lidränder, dünnes und glanzloses Kopfhaar, dick-weiß belegte Zunge, Spaltnägel, derbe Schwielen, Nägelkauen und verdrießliche Stimmung bei pastösem Habitus. Die Decocti Zittmani, auch weil Sauerbruch sie noch kannte, sehen wir uns in der Rezeptur, genauer an:

Doch die Entwicklung geht weiter und die Erfahrungen aus der Homöopathie lehren ihrerseits neue wichtige Arzneien zu verstehen und anzuwenden. Zur Entgegnung akuter, meist entzündlicher, grippoider (fiebriger) Zustände - aus geschichtlichem Verständnis vorerst an konstitutioneller Therapie interessiert - sind die Hauptmittel von Saller in Tabelle 2 zusammengefasst 27 und ergänzt28, wobei Sulfur, Carbo veg., Stannum und Zincum als Reaktionsmittel 29 hinzugefügt werden dürfen:

 

Entzündungsmittel (n. Saller) allgemein (subakut/akut) Verschlimmerung Besserung
Aconit akut/hart abends, nachts, Bewegung, Luftzug Schweißausbruch
Belladona weich, überempfindlich Bewegung, Berührung,Zugluft, Kälte, nachmittags, nachts (3 Uhr) kalte Aufschläge
Apis stechend, trocken, exsudativ Wärme kalte Aufschläge
Mercur Verdauungskanal, Nebenhöhlen, Speichelfluß, Foetor ex ore, Durchfälle, übelriechende Schweiße Bewegung, nachts, Bettwärme ..
Jodum reaktiv, exsudativ .. ..
Klinisch ergänzt bzw. abgegrenzt:
Die 5 Grippetypen (n. Price): fieberhafte, bronchopneumonale, (zentral-)nervöse, fulminante, gastro-intenstinale.
Erwägenswert: Baptisia, Myristica, Lachesis (D8), Naja oder Crotalus (D6), Elaps (D6), Gelsemium, Ferrum, Bryonia etc.

Tabelle 2

Dies soll uns als Auswahl an klassischen Arzneimitteln reichen und es ist zum Schluss nur noch ein Blick auf die Kuren zu werfen, die seit dem Altertum (Hippokrates) ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesunderhaltung und Lebensweise geblieben sind. So lesen wir in einem vorparacelsischen Diätbuch aus dem Jahr 1523, das sich durchgehend auf Avicenna, Galen und die Temperamente beruft, über die rechte Zeit des Badens (und Behandelns):

"Rechte zeyt des badens ist/so die speyß in dem Magen verzert und verdeüwet ist/und so das gederm gereinigt ist/also das der mensch vorhin zu stul gangen sey. Galienus spricht...Und darumb spricht Avicena/Das ein yegklicher mensch zu etlichen zeyten in dem jar(als im Meyen) sol ein laxatina nemen/das seiner natur bekommelich ißt."30 (Original in Textur)

Die Speisen und Getränke der Kranken sollen sie entlasten oder stärken. Sydenham empfiehlt dem Kranken nur einmal mittags zu Essen, da "die Zeit, die der Kranke im Bett verbringt, recht eigentlich der Verarbeitung der Säfte dient..."31 Viele Diäten und Ernährungsweisen berücksichtigen unverständlicherweise den pathologischen Stoffwechsel des Kranken und Genesenden gar nicht oder sehr selten, aber die überlieferten Suppenarten sind erstaunlich vielseitig: entlastende Brot-, Wasser-, Kräuter- und Milchsuppen; aufbauende Mehl-, Grütze-, Kartoffel- und Erbsensuppen; stärkende Bier- und Weinsuppen, Fleischsuppen vom Rind und Kalb erhalten ganz differenzierte Indikationen, die mit der Säftelehre in Einklang stehen.32 Prießnitz und Fleury raten während anstrengender Wasserkuren den Städtern zu kräftiger Nahrung.33 Es bleibt der Zukunft vorbehalten, die überlieferten Hinweise auf die Krankendiät aufzugreifen, mit hinzugewonnener Kenntnis auszustatten, neu zu bewerten, und effektiv in die therapeutischen Konzepte einzubeziehen.


Fazit

Nicht alle älteren und sehr alten Therapieformen decken die Bedürfnisse heutiger Heilpraxen ab. Das bedeutet nicht, dass hippokratischer Sinn, volksmedizinischer Fundus und archaisch-mythische Vorstellungen keine Chancen hätten, in die Therapie erfolgreich einzufließen, - manchmal sogar spontan, da die jetzige Bewusstseinsstruktur die einstigen differenziert einschließt und herauskristallisierbare Werte eventuell versteht und auf die Moderne überträgt. Aus alt mach jung - diese Formel geht jedoch selten auf und erreicht oft das Niveau einer Nähkästchenplauderei. Grau ist alle Theorie - hell die erfüllte Praxis, zu der eine mäßige Beobachtung der sich wandelnden Prämissen und eine mangelhafte Dokumentation der medizinischen Abläufe wenig beiträgt. Zwischen Dogma und Skepis, inmitten Systole und Diastole der Natur (Goethe), kauert irgendwo die Weltweisheit. An einem einzigen unbekannten Tag - so ist es vorgesehen - wird sie sich im Menschen aufrichten.


Literatur zu den Anmerkungen 1-33 sowie weitere Hinweise zu älterer Lieratur beim Verfasser.


Anschrift des Verfassers:

Siegfried Haußmann
Heilpraktiker
Im Mohnfeld 3
77836 Rheinmünster


Diese Informationen und Veranstaltungshinweise
finden Sie auch in der Zeitschrift Naturheilpraxis des Pflaum-Verlages:

 





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Tel. 030-8312344
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