Chronische Polyarthritis
von Joachim-F. Grätz
In dieser Fallbeschreibung ist die gleichzeitige Einnahme von Rhus tox. und Medorrhinum, diskussionswürdig. Bei ausgeprägten chronischen Erkrankungen ist oft eine Beschwichtigung der Symptomatik nötig, bevor ein für die Chronizität ausgewähltes Arzneimittel verabreicht werden kann. Hahnemann beschreibt dieses Phänomen in Paragraph 221 in Bezug auf die Geistes- und Gemütskrankheiten. Dieser Paragraph hat Gültigkeit in allen chronischen Erkrankungen, also auch bei Körperkrankheiten. Er empfiehlt zuerst ein nach der Ähnlichkeit ausgewähltes amiasmatisches Mittel zu verabreichen und nach einer gewissen Beruhigung der Symptomatik auf das tieferwirkende antimiasmatische, nach der Ähnlichkeit und Miasmatik ausgewählte Mittel zu wechseln. Der Autor hat diesen Umstand durch die abwechselnde Gabe beider Mittel erreicht. Wir veröffentlichen diesen Fall aufgrund des guten Therapieergebnisses in einer fortgeschrittenen chronischen Erkrankung.
Das Redaktionsteam
Ein älterer Herr leidet seit seinem 63. Lebensjahr an schwerer Polyarthritis (Gelenkrheumatismus), welche sich fortlaufend verschlimmert. Jedenfalls werden die Schmerzen immer intensiver und sind kaum noch auszuhalten. Darüber hinaus macht sich eine größer werdende Müdigkeit breit, wie auch steigende Appetitlosigkeit, so daß der arme Mann in diesem Jahr bereits 25 Pfund abgenommen hat und nur noch 60 kg wiegt. Vor gut 4 Jahren habe alles begonnen und seither habe er auch "Wasser in den Knien", so daß er "alle 14 Tage punktiert" werden müsse. Er war auch schon mehrmals für jeweils 4 Wochen in der Klinik, allerdings mit mäßigem Erfolg. Bis vor einem Jahr habe er Methotrexat (MTX) genommen, welches in der Roten Liste unter "Zytostatika und Metastasenhemmer" zu finden ist und demnach als schweres Chemotherapeutikum eingestuft werden muß!
Zur Zeit erhalte er von seinem Arzt regelmäßig Goldspritzen und müsse parallel dazu Arthotec, zweimal täglich, einnehmen, ein Antirheumatikum mit dem Wirkstoff Diclophenac. Darüber hinaus nehme er auch regelmäßig Cortison und bei Bedarf ein Paracetamol-Präparat.
Ursprünglich wurde der gute Mann "auf HWS-Syndrom" behandelt, denn die Schmerzen hätten anfangs in der rechten Schulter begonnen, nachdem er bei Antritt einer Bahnfahrt einen schweren Koffer ins Gepäcknetz gehoben habe. Damals habe es "einen richtigen Stich gegeben" und seither wurde es schlimmer. So erhielt er damals eine Spritzenkur mit dem Resultat einer kontinuierlichen Gewichtsabnahme. Ein anderer konsultierter Orthopäde meinte, es handele sich nicht um ein HWS-Syndrom, sondern seine Verdachtsdiagnose lautete Rheuma. Laut Röntgenuntersuchungen waren nun schon beide Schultern und Knie befallen, wobei der Patient immer noch ausschließlich Schmerzen in der rechten Schulter verspürte.
So wurde er schließlich in eine Klinik eingewiesen und man begann unverzüglich mit den schweren Metastasenhemmern und Eis zum Kühlen. "Je länger ich MTX nahm, desto schlimmer wurde es und desto mehr breitete es sich auf alle Glieder aus!", so die Beobachtungen des armen Mannes. In diesem Jahr sei er auch wieder in der Klinik gewesen. Als er nach 5 Wochen Behandlung vor kurzem entlassen wurde, sei er "kaum noch aus dem Bett gekommen", so schlimm sei alles geworden. Und es gebe derzeit keine Aussicht auf Besserung.
Morgens beim Aufstehen gehe es ihm immer besonders schlecht. Er müsse dann anfangs ganz langsam laufen. Erst nach etwa 10 Minuten Bewegung gehe es allmählich besser. Doch "zuviel Laufen" bewirke wieder eine deutliche Verschlechterung. Schon das Liegen im Bett bereite ihm sehr große Schmerzen in der Schulter, so daß sein Schlaf sehr zu wünschen übrig ließ. Sein Zustand sei bereits so schlimm, daß ihm sein Arzt geraten hätte, einen "Antrag auf einen Schwerbeschädigtenausweis (100 %)" zu stellen.
Wetterwechsel mache alles viel schlimmer. "Besonders von schön zu schlecht." Trockene Kälte sei gut verträglich; nur Nässe oder Naßkälte - "so typisches Novemberwetter" - sei überhaupt nicht auszuhalten.
Früher habe es zweimal ein Magengeschwür gegeben wegen zuviel Ärger in der Arbeit und Mittelohreiterungen. Heute sei dies jedoch "kein Thema mehr". Vor 14 Jahren sei eine Hundehaarallergie in Form juckender Hautreaktionen für etwa ein Jahr mit Salben behandelt worden. - Ansonsten gab es nicht viel an Krankheiten zu berichten. Der Mann war ein warmer Typ; auch im Winter habe er nicht gefroren bzw. mußte sich nie besonders warm anziehen. Nachts strecke er immer seine Füße aus dem Bett, auch in der kalten Jahreszeit sei dies so. Früher habe er am liebsten auf dem Bauch geschlafen, doch heute gehe dies nicht mehr wegen der anhaltenden Schmerzen. An den Fußsohlen sei er von jeher sehr empfindlich; barfuß über Steine laufen sei schon ein großes Problem. Darüber hinaus bestehe ein ausgeprägtes Verlangen nach frischer Luft; die brauche er "auf jeden Fall", das sei sehr wichtig für ihn. Fieber habe es in seinem Leben sehr selten gegeben, und wenn, dann "höchstens mal 38 °C". Mit Auftreten des Rheumas seien seine Augen morgens manchmal verklebt; das komme im Jahr durchaus ein paarmal vor.
Seit 3 Jahren gebe es auch Hämorrhoiden, allerdings ohne nennenswerte Beschwerden, und seit ein paar Jahren müsse er nachts bis zu 5mal auf die Toilette zum Wasserlassen. Der letzte Klinikaufenthalt bescherte ihm auch öfter Nachtschweiße, welche immer noch anhielten; da müsse er dann sogar den Schlafanzug wechseln. Im Psychischen mache sich seine Krankheit in Form einer leichten Erregbarkeit und Ungeduld bemerkbar, was er zuvor nie kannte; "besonders seit diesen Tabletten". "Früher war ich die Ruhe selbst."
Von der Familie des Patienten war nicht mehr allzu viel zusammenzutragen, da er keinen mehr fragen konnte. Beim Vater war nur noch ein "sehr schlimmes Rheuma" erinnerbar; "er hatte nur noch gelegen". Seine Mutter litt an Hautkrebs und seine Schwester hatte Diabetes mit Blindheit und Rheuma. Von seinem Bruder waren Bypässe und auch Diabetes bekannt.
Der Mann erhielt 2 Arzneimittel: ein chronisches und eines, um die akuten Schmerzspitzen ein wenig besser abzubauen. Das waren Medorrhinum LM18, 5 Tropfen auf ein Glas voll Wasser, alle 3 Tage abends einen Löffel voll einzunehmen, einschleichend beginnen, und Rhus toxicodendron LM12, 3 Tropfen auf einem Teelöffel voll Wasser, morgens und abends, nur an den Medorrhinum-freien Tagen.
Schon nach 4 Wochen kam die erste erfreuliche Nachricht, die unseren eingeschlagenen Weg bestätigte: "An manchen Tagen habe ich schon Ruhe, an anderen dagegen ist wieder der Teufel los. Aber ich kann nachts wieder gut schlafen!" Wir vereinbarten, weiterhin nur 3 Tropfen alle 3 Tage zu nehmen, da es schon bei 4 Tropfen zu heftigeren Reaktionen kam und die Schmerzen regelrecht angeheizt wurden. Und Rhus toxicodendron sollte er fortan nur noch nach Bedarf einnehmen, sozusagen bei den akuten Schmerzspitzen, und gleichzeitig auf das Paracetamol verzichten. - Ein paar Wochen später, nach etwas mehr Stabilität, begannen wir dann mit dem Ausschleichen der schulmedizinischen Medikamente. Wir fingen mit Arthotec an, wobei das Medorrhinum nun wieder bis auf 5 Tropfen zu steigern war, da die Schmerzen "lange nicht mehr so intensiv waren wie damals".
Der Mann konnte seine Arme gut bewegen und das Laufen klappte auch schon recht zufriedenstellend. Die Goldspritzen - und dies hatte er eigenmächtig entschieden - hatte er sich seit etwa 5 Wochen nicht mehr geben lassen. Und mit Rhus toxicodendron als Akutmittel kam er gut zurecht.
Später, als die Schmerzen noch deutlich weniger geworden waren und in der Schulter überhaupt kein Schmerz mehr zu verspüren war, wechselten wir zu Medorrhinum LM24 und begannen parallel dazu, mit Cortison - über einen Zeitraum von 3 Monaten - auszuschleichen. Unter dieser Prozedur wurde sein Blutbild hinsichtlich der Leukozyten immer wieder auffälliger (14.000), was jedoch ganz normal ist, denn nun konnten die entzündlichen Prozesse - Entzündungen sind ja gemäß dem Gesetz der Zweiphasigkeit der Erkrankungen ein Teil der Heilungsphase! - ihren Heilungsverlauf nehmen. Das Blutbild 2 Monate später ergab dann nur noch "10.200 Leukos" und die "Rheumakurven sind alle weg", wie mir mein Patient telefonisch versicherte. "Vorher sind sie sehr hoch gewesen!" Zwischenzeitlich gab es noch heftigere Reaktionen in den Mittelfußknochen, morgens für etwa eine Stunde, die sich aber wieder nach ein paar Wochen verloren. Und der nächtliche Harndrang hatte sich vollständig gegeben. Auch sein Gemüt habe sich sehr zum Positiven verändert; er sei nun wieder "der Alte" und nicht mehr so erregbar und er habe wieder 14 Pfund zugenommen. Rasenmähen und mehrere kilometerlange Spaziergänge, ja sogar Bergwandern mit den Kindern und Enkelkindern, waren nun kein Thema mehr. "Ich bin sehr zufrieden."
Später wechselten wir noch zu Sulfur LM18 und LM24, was weiterhin zur Gesamtstabilität beitrug, dem Mann jedoch zwischenzeitlich (fast unerträglich) juckende, rotfleckige Hautausschläge bescherte, im Grunde genommen aber als erfreuliche Toxinausscheidung zu werten war, denn "sämtliche Blutwerte waren bestens". - Darüber hinaus erinnerte sich der Mann nun auch wieder daran, daß er so einen Hautausschlag schon früher einmal gehabt hatte (Hundehaarallergie!). Somit handelte es sich darüber hinaus wohl auch um die Rückspulung des gesamten Krankheitsgeschehens und war als äußerst segensreich und positiv anzusehen, selbst wenn es zwischenzeitlich anstrengte!
- Das Rhus toxicodendron brauchte er zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr und auch das Blutbild war völlig unauffällig geworden. Die Gesamtbehandlungsdauer - d.h. bis der Mann frei von jeglichem Medikamentenkonsum war, incl. den homöopathischen Arzneimitteln - betrug nur etwa 1 3/4 Jahre.
Literatur, Fragebogen:
- Allen, J.H., Die chronischen Krankheiten - die Miasmen, l987, Verlag Renée von Schlick, Aachen
- Grätz, J.-F., Fragebogen für Ihre Homöopathische antimiasmatische Behandlung, 3. Auflage 1996; Vertrieb: Andrea Grätz, Heimatshausener Straße 20, 82319 Starnberg/. See, Tel.: 08151 / 15361
Anschrift des Verfassers: Dr. Ing. Joachim-F. Grätz
Hauptstraße 2l
823l9 Starnberg/See
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